Juigendamt Böblingen/Sindelfingen
19. August 1992
Regelung der elterlichen Sorge für:
Anna Alteck, geb. 01.11.84
Maria Alteck, geb. 14.03.86
Yvonne Alteck, geb. 12.04.88
alle Kinder haben die deutsche und niederländische Staatsangehörigkeit
Mutter: Ute Alteck, deutsche Staatsangehörigkeit
Vater : Thomas Alteck, niederländische Staatsangehörigkeit
Grundlage des Berichtes sind zwei Hausbesuche bei Frau Alteck und den Kindern, Einzelgespräche mit Herrn Alteck, sowie diverse Telefongespräche mit beiden Elternteilen.
Bei dem Hausbesuch am 27.04.92 waren Frau Alteck und alle drei Kinder anwesend. Anna und Maria waren sehr aufgeschlossen. Besonders Anna versuchte meine volle Aufmerksamkeit auf sich zulenken. Yvonne benahm sich eher zurückhaltend und sprach auch nichts mit mir.
Frau Alteck machte auf mich einen ruhigen, überlegten Eindruck. Während die Kinder in einem anderen Zimmer spielten, berichtete sie mir von den Veränderungen vor allem bei Anna, seit dem Auszug des Vaters. Anna hätte seit Jahren unter einer Neurodermitiserkrankung gelitten. Es sei für sie sehr erstaunlich, dass die Krankheit seit dem Auszug des Vaters nahezu geheilt sei.
Frau Alteck ging sehr liebevoll mit ihren Kindern um und setzte ihren Kindern die notwendigen Grenzen, als sie etwas aufgedreht und übermütig waren. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass die Kinder bei Frau Alteck sehr gut versorgt und liebevoll betreut wurden.
Bei einem Gespräch mit Herrn Alteck am 22.05.92 teilte er mir seine Sorge mit, dass die Kinder bei seiner Frau nachhaltig geschädigt werden würden. Herr Alteck war der festen Überzeugung, dass seine Frau an Schizophrenie erkrankt sei und aufgrund eigener Missbrauchserfahrungen den sexuellen Missbrauch durch den Vater auf Anna projiziere. Die Kinder müßten aus dieser fürchterlichen Situation herauskommen, auch sollte seine Frau psychiatrische Hilfe erfahren. Herr Alteck betonte, dass die Kinder in einem Heim immer noch besser versorgt werden würden, als dies bei seiner Frau der Fall wäre.
Herr Alteck bat mich, zusammen mit Herrn Dr. Weisbach und ihm am darauffolgenden Montag zu Herrn Prof. Klosinski zu fahren, um nötige Schritte, eventuell eine psychiatrische Einweisung seiner Frau, in die Wege zu leiten. Herrn Alteck wurde zu verstehen gegeben, dass auf unserer Seite kein Handlungsbedarf bestehe seine Frau in eine Psychiatrie einweisen zu lassen, und dass er versichert sein könne, dass auch wir mit allen unseren Mitteln versuchen würden, die Kinder vor jeglichen Schädigungen zu schützen.
Herr Alteck machte während des Gesprächs einen sehr verzweifelten Eindruck. Die ganze Situation, dass er seine Kinder über ein halbes Jahr nicht sehen konnte, schien ihn psychisch sehr stark zu belasten. Wenn Herr Alteck von sexuellem Missbrauch sprach und das Wort "Täter" nannte, kam es zu emotionalen Gefühlsausbrüchen in Form von Tränen bei ihm.
Das Gutachten von Herrn Prof. Lempp ergab, dass keine Notwendigkeit bestünde, die Kinder nicht bei der Mutter zu belassen. Der Verdacht des Vaters, seine Frau sei psychisch krank, ließ sich ebenfalls nicht bestätigen. Bei Maria wurde eine starke Bindung zum Vater deutlich. Maria hätte ein "dringendes und berechtigtes Bedürfnis" den Vater zu sehen. Eine Kontaktaufnahme zwischen Yvonne und dem Vater wäre laut dem Gutachter ebenso zu begrüßen. Beiden Elternteilen wurde prinzipiell eine Erziehungsfähigkeit bescheinigt. Der Gutachter unterstützte den Wunsch der Mutter, dass der Vater im Beisein von Dritten seine Kinder, falls sie es wünschten, sehen sollte. Das Jugendamt schloß sich dieser Empfehlung ebenfalls an. Mit Beschluß vom 11.06.92 durch das Familiengericht Böblingen wurde dem Vater ein betreutes Umgangsrecht einmal wöchentlich für Maria und Yvonne gewährt. Ebenso wurde die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens von beiden Elternteilen beschlossen.
Am 01.07.92 nahm Herr Alteck seiner Frau die drei Kinder gewaltsam weg und flüchtete mit den Kindern ohne seinen Aufenthaltsort mitzuteilen. Für die Kinder war dies sicherlich eine traumatische Erfahrung. Sie mußten miterleben, wie der Vater sie gewaltsam gegen den Willen der Mutter entriß. Der Mutter wurde am 02.07.92 das Aufenthaltsbestimmungsrecht übertragen, gegen Herrn Alteck wurde ein Haftbefehl erlassen.
Am 06.07.92 meldete sich Herr Alteck erstmals beim Kreisjugendamt, ohne seinen Aufenthaltsort zu nennen. Herr Alteck wurde darüber informiert, dass seine Frau das Aufenthaltsbestimmungsrecht habe, und er unverzüglich die Kinder zurückbringen sollte. Herr Alteck brachte zum Ausdruck, dass er die Kinder einem Kindertherapeuten vorstellen wollte und es auf keine Fall wünschen würde, dass die Kinder weiterhin von seiner Frau betreut werden würden. Das Jugendamt bot sich als Vermittler an, um der für alle Beteiligten belastenden Situation ein Ende zu machen. Bei mehreren Anrufen von Herrn Alteck wurde versucht, zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen. Durch eine Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf das Jugendamt und eine zeitlich befristete Heimunterbringung der Kinder bis zum Vorliegen der Erwachsenengutachten, sollte die gesamte Situation entspannt werden.
Die Heimunterbringung sollte zur Überwindung der Krisensituation dienen, die Kinder zur Ruhe kommen lassen und sie vor weiteren Schädigungen schützen. Die Dauer der Unterbringung der Kinder im Heim sollte sich an den Bedürfnissen und der psychischen und physischen Befindlichkeit der Kinder orientieren. Frau Alteck und Herr Alteck erklärten sich beide mit dieser Lösung einverstanden. Herr Alteck wurde aufgefordert, so schnell wie möglich die Kinder dem Jugendamt zu übergeben. Herr Alteck wollte vor der Rückführung der Kinder sich zuerst noch von seinem Anwalt rechtlich beraten lassen.
Am 31.07.92 brachte Herr Alteck die Kinder ins Jugendamt. Am selben Tag wurden sie in Begleitung der Mutter ins Heim Marienpflege in Ellwangen gebracht.
Leider stellte sich heraus, dass sich die Kinder auch nach vier Tagen von der erfahrenen Erzieherin nicht beruhigen ließen. Sie äußerten immer wieder das dringenste Bedürfnis, zur Mutter zu kommen. Das Jugendamt sah deshalb eine Rückkehr der Kinder als geboten an, um der zunehmend dramatischen und eskalierenden Situation, vor allem in Bezug auf die psychische Verfassung der Kinder, Rechnung zu tragen. Aus diesem Grund wurden die Kinder am 04.08.92 der Mutter übergeben.
gez. Volz
Seit 01.07.1992 bin ich offiziell für den Bereich Unbenannt zuständig. Die Gesamtkonstellation der Familiensache Alteck ließ einen Wechsel zum damaligen Zeitpunkt nicht zu. Seit Anfang August 1992 habe ich die weitere Betreuung und Beratung der Familie Alteck übernommen.
Die folgenden Ausführungen basieren auf mehreren Einzelgesprächen und Telefonaten mit beiden Elternteilen, sowie einem Hausbesuch bei Frau Alteck am 13.08.92, an dem die Kinder erlebt werden konnten. Auf Einzelgespräche mit den Kindern wurde unsererseits verzichtet, da davon ausgegangen werden konnte, dass diese für Anna, Maria und Yvonne eine erhebliche Belastung bedeutet hätten.
Situationsdarstellung
Die Rückführung der Kinder zur Mutter wurde mit Herrn Alteck am darauffolgenden Tag, den 05.08.92, besprochen. Es wurde Herrn Alteck verdeutlicht, dass diese Entscheidung unsererseits zum derzeitigen Zeitpunkt zum Wohl der Kinder getroffen wurde.
Grundsätzlich beführwortete Herr Alteck während unseres Gespräches die Beendigung der Maßnahme in Ellwangen. Er schien sehr betroffen über die Reaktion der Kinder. Herr Alteck äußerte sich jedoch dahingehend, dass er unsererseits eine Rückführung Annas, Marias und Yvonnes zu ihm erwartete. Mit Herrn Alteck wurde besprochen, dass unsererseits eine Abwägung im Hinblick auf den Verdacht des sexuellen Missbrauchs und den Verdacht einer psychischen Erkrankung stattgefunden hat. Dieser Standpunkt unsererseits wird im Folgenden kurz erläutert:
Grundsätzlich kann die Gefahr der Wiederholung eines sexuellen Missbrauchs nicht ausgeschlossen werden. Unsererseits wird davon ausgegangen, daß, sollte Missbrauch vorliegen, weitere Missbrauchserfahrungen bei den Kindern zu erheblichen Beeinträchtigungen in psychischer Hinsicht führen würden. Sollte eine psychische Erkrankung auf Seiten der Mutter vorliegen, scheinen diese zum derzeitigen Zeitpunkt zu "geringeren" Defiziten im Vergleich zu dem des sexuellen Missbrauchs zu führen; sollten Vergleiche diesbezüglich überhaupt möglich sein.
Herr Alteck akzeptiert die eigentliche Motivation unsererseits im Hinblick auf die Rückführung der Kinder zur Mutter nicht und sieht einen Verbleib der Kinder bei der Mutter als Gefährdung. Es wurde versucht Herrn Alteck zu verdeutlichen, das die Befürchtungen und Sorgen seinerseits, das Wohl der Kinder betreffend, von uns ernst genommen werden.
Weitere Gespräche mit Herrn Alteck waren geprägt von Vorwürfen gegen das Jugendamt. Stellenweise nahmen diese Vorwürfe bedrohliche Ausmaße an. So machte Herr Alteck Aussagen dahingehend, dass ich keine ruhige Minute mehr haben würde, sollte den Kindern etwas zustoßen. Eine konstruktive Beratungsarbeit unsererseits mit Herrn Alteck wurde dadurch sehr erschwert. Zugleich wurde Herr Alteck mehrmals darauf hingewiesen, das eine Einhaltung des Verfahrensablaufs notwendig ist.
Im Gespräch mit Frau Alteck wurde deutlich, dass diese die derzeitige Situation als sehr belastend erlebt. Frau Alteck beabsichtigt nach Abschluß des derzeitigen Sorgerechtsverfahrens aus dem Kreis Böblingen zu verziehen. Es kann davon ausgegangen werden, dass dieser Entschluß unabhängig von der Entscheidung im Hinblick auf das Sorgerecht von ihr getroffen wird.
Frau Alteck hatte Anna, Maria und Yvonne über den Hausbesuch meinerseits erzählt, so dass die Kinder die Intention des Gespräches wohl vermuten konnten.
Anna wirkte sehr unruhig und überaktiv. Sie unterbrach immer wieder das Gespräch zwischen Frau Alteck und mir. Maria schien distanzierter und vorsichtiger und redete wenig. Yvonne beachtete mich zu Beginn kaum und sprach nichts. Im Verlauf des Gespräches jedoch begann Yvonne munter zu erzählen, wobei die Gesprächsinhalte für ihre Schwestern oder ihre Mutter bestimmt waren. Dabei suchte sie immer wieder den Augenkontakt mit mir. Gegen Ende des Gespräches mit Mutter und Kindern wurden Maria und Yvonne offener und es entstand bei allen drei Kindern der Eindruck einer gewissen Unbefangenheit. Nach einer gewissen Zeit forderte Frau Alteck die Kinder zum Spielen im Kinderzimmer auf. Dadurch konnten wir ein intensiveres Gespräch führen.
Insgesamt kann gesagt werden, dass sich Anna, Maria und Yvonne bei ihrer Mutter wohl zu fühlen scheinen. Dennoch wurde deutlich, dass die Ereignisse der vergangenen Wochen bei den Kindern tiefe Eindrücke hinterlassen haben. Die Anspannung der Kinder war deutlich spürbar.
Frau Alteck ging während unseres Gespräches liebevoll auf die Kinder ein. Unsererseits war eine Gefährdung des Kindeswohls nicht ersichtlich.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass beide Elternteile eine intensive Beziehung zu den Kindern zu haben scheinen.
Auffallend während der Gespräche war, dass sowohl Herr als auch Frau Alteck positive Aspekte in der Elternschaft des anderen erkennen und diese verbalisieren. Diese Einstellung wird für die weitere Zukunft und Entwicklung von Anna, Maria und Yvonne von großer Bedeutung sein, da davon ausgegangen werden kann, dass derjenige Elternteil, der zukünftig das Sorgerecht ausüben wird in der Lage ist, den Kindern ein positives Bild des nicht sorgeberechtigten Elternteils zu erhalten und dieses entsprechend zu fördern.
Aufgrund der äußerst angespannten und für alle Beteiligten äußerst belastenden Gesamtsituation ist unseres Erachtens ein betreutes Umgangsrecht unabhängig im Hinblick auf die Entscheidung des Sorgerechts notwendig. Anna, Maria und Yvonne wird dadurch die Möglichkeit geboten den nichtsorgeberechtigten Elternteil in einem neutralen und geschützten Rahmen zu treffen.
Unsererseits werden die Erwachsenengutachten für dringend erforderlich gehalten. Beide Elternteile erhalten dadurch die Möglichkeit einer psychologischen "Beurteilung" des jeweils anderen Elternteils. Beide Elternteile sehen die Motivation ihre Handelns in den von ihnen geäußerten Vermutungen. Sowohl Frau als auch Herr Alteck äußerten ihrerseits die Motivation und Notwendigkeit im Hinblick auf die Gutachten.
Es bleibt für Anna, Maria und Yvonne zu hoffen, dass die Ergebnisse diesbezüglich zu einer Entspannung der derzeitigen Situation führen.
Unabhängig davon wäre unseres Erachtens außerdem eine therapeutische Begleitung und Beratung beider Elternteile unabhängig voneinander, zum Wohl der Kinder, wünschenswert.
gez. Müller-Teuber
19. August 1992
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